Von Wasser-Wölfen, Feuer und Bären

Hecht

Juli 2014 .  Kanada

Martin Peters

Eigentlich wurde es im arktischen Sommer nie richtig dunkel. Über den schwarzen, säulenförmigen Fichten stand die untergehende Sonne noch lange Zeit sehr flach, bis sie kurzzeitig komplett hinter ihnen verschwand. Es war fast Mitternacht, und während Claudia und Jeff sich bereits in ihre Zelte zurückgezogen hatten, ließ ich den Tag in aller Ruhe bei ein paar Würfen vom Ufer ausklingen. Ich warf den Gummifisch erneut an eine erfolgversprechenden Krautkante, zupfte ihn ein paar Mal durchs Wasser, spürte den dumpfen Einschlag am Köder und setzte den Anhieb. Behäbig setzte sich der Hecht in Bewegung. Als ich ihn in Ufernähe ins Oberflächenwasser brachte, drehte er noch einmal richtig auf, sprang in voller Länge aus dem Wasser und setzte zu mehreren letzten, kraftvollen Fluchten an. Im wärmeren, fließenden Wasser waren die Hechte in absoluter Bestform und besaßen eine ungewohnt zähe Ausdauer. Dann fasste meine Hand hinter den Kiemendeckel, ich löste den Haken und setzte kurz das Maßband an. Mit 1,15m sollte es der größte Hecht meines Lebens sein, den ich ohne Foto wieder zurück ins Wasser setzte – beim weiteren Handling ganz allein am felsigen Ufer hätte sich der Fisch möglicherweise unnötig verletzt. Mir war warm geworden, und darüber erfreuten sich die Millionen von Mücken, die sich in der dunkelsten Phase der Nacht besonders gierig über alles, was Blut besaß, hermachten. Man hatte sich bereits an Dinge gewöhnt, die noch vor zwei Wochen der unvorstellbare Wahnsinn gewesen wären. Allein in den letzten beiden Stunden konnte ich auf meiner kleinen Fußexkursion nochmal fünf Meterhechte und einige knapp darunter überlisten! Nun war auch für mich die Zeit für ein wenig Schlaf gekommen, denn der folgende Tag auf dem Boot würde wieder anstrengend werden. Auf der anderen Seite des Flusses bewegte sich etwas im Wald. Ich blieb ruhig stehen und beobachte, was dort zum Vorschein kam. Es war ein Wolf, der mich kurz anblickte und dann am Ufer weiter entlang streifte. Im Gegensatz zu den Bären waren sie weniger daran interessiert, durch den Fluss zu schwimmen und in unserem Camp nach Essbaren zu suchen. Erleichtert machte ich mich auf zum Zelt und schlief in wenigen Sekunden ein.

Bei meiner ersten Hechttour 2012 nach Kanada hatten wir zwar unglaublich viele, aber doch enttäuschend wenig größere Hechte gefangen. Diese Tour hatte andere Ziele – wir wollten herausfinden, ob man in zwölf Tagen hundert Meterhechte fangen konnte. Dabei wollten wir nicht von einer Lodge aus angeln, mit geregeltem Acht-Stunden-Guiding-Angeltag, Frühstück, warmen Abendessen und komfortabler Hütte. Sondern in absoluter Wildnis, fernab jeglicher Zivilisation und anderer Angelboote und nur auf uns allein gestellt. Ein Jahr lang planten Claudia und ich mit dem Kanadier Jeff eine private Expedition, welche auch für ihn das bisher aufregendste und längste Wagnis werden sollte. Wir bereiteten uns darauf vor, auch in Gebiete vorzudringen, in denen auch Jeff noch nie gewesen war und welche möglicherweise noch nie zuvor beangelt worden waren!

Die Sonne stand als violett-roter Ball am Himmel. Der Tag hatte sich verdunkelt, obwohl wir Mittag hatten. Wir pirschten uns mit unserm voll beladenen Boot durch kleine Kanäle und über große Seen. Jeffs Boot war dazu mit einem weiteren Benzin-Hilfsmotor ausgestattet, denn Kartenmaterial mit Tiefenangaben gab es für diese Gewässer nicht. Überall konnten gefährliche Untiefen lauern. Nach einiger Zeit fiel das Atmen schwer, und manchmal regnete Asche auf uns herab. Die Wälder um uns herum versanken in dichten Rauchschwaden. Kanada erlebte in diesem warmen und trockenen Sommer eine Waldbrandsaison nie dagewesenen Ausmaßes. Bedingt durch die Klimaerwärmung hatte der Permafrostboden in den letzten Jahren messbar abgenommen – der kühlende Effekt des Bodens blieb somit immer öfter aus. Das fachte die Feuer weiter an, die nicht zu löschen waren und sich bis zu mehrere Wochen und Monate durch die Waldlandschaft fraßen. Manche von ihnen waren zu wahren Monstern heran gewachsen und tauchten im Umkreis von vielen Kilometern die Landschaft in dichtes Grau. Sobald wir in eine der Rauchsäulen fuhren, wurde der sonnige Tag gespenstisch finster. Befand sich der Brand jedoch in Windrichtung von uns, hatten wir freie Sicht und blickten zum Teil auf gigantische Rauchsäulen am Horizont. Eine Woche vor unserer Anreise hatte Jeff an einigen Wegpunkten Benzinkanister und Proviant in bärensichern Tonnen versteckt. So konnten wir die Reichweite unserer Expedition ermöglichen. Mit den wechselnden Windrichtungen waren auch die Zugrouten der Waldbrände unvorhersehbar, und wir hofften jedes Mal, dass keines unserer Depots in der Zwischenzeit den Flammen zum Opfer gefallen war. Doch bei diesem Wechsel zu einem neuen Angelrevier ging alles gut, wir schlugen am Abend unsere Zelte auf, bereiteten statt Fisch nur fix etwas aus der Dose zu und versuchten im stickigen Grau einzuschlafen. Als wir am nächsten Tag aufwachten und den morgendlichen Kaffee kochten, hatte der Wind gedreht. Der Himmel war blau, und ein neuer Gewässerabschnitt lud uns zum Angeln ein.

Gemächlich trieb uns der E-Motor über das Krautfeld voran. Wir mussten mit der Batterie sparsam umgehen, aber für genau diese Momente war sie unerlässlich. Das klare Wasser unter uns war von langen Krautfahnen durchsetzt, welche zum Teil bis an die Oberfläche ragten. Wir tunkten unsere Gummiköder vertikal in den Lücken auf und ab. Als Claudia ihren Köder gerade umsetzen wollte und etwas aus dem Wasser hob, folgte ein fetter Meterhecht dem Köder und sprang ihm direkt an der Bordwand hinterher – und in halber Länge aus dem Wasser! Jeff und ich erschraken gleichermaßen und ließen auch unsere Gummis absinken, doch der Hecht war bereits geflüchtet. Unglaublich, wie effektiv und spannend diese Methode war. Wir erlebten Bisse auf Sicht und kürzester Distanz, Meterhechte, die bereits gehakten Großhechten aggressiv folgten, auf einen zweiten Kunstköder hereinfielen und dann beim Drill vor und unter dem Boot einiges an Fingerspitzengefühl abverlangten. Es waren immer wieder grandiose Momente, wenn die großen Hechte plötzlich aus dem Nichts auftauchten und blitzschnell unsere Köder inhalierten. Einmal vergriff sich eine große Dame an einem kleineren Hecht der an meinem Gummifisch hing, und ließ ihn erst kurz vor dem Boot wieder los. Manchmal folgte Meterhecht auf Meterhecht, und es konnte an Bord schon mal sehr hektisch zugehen, wenn unsere „Pike Factory“ auf Hochtouren lief! Das Angeln war sehr abwechslungsreich, und wir mussten oft unsere Taktik und Angelmethode den Gewässertypen und Wetterbedingungen anpassen, um ständig am Fisch zu bleiben. So warfen wir flachere Uferbereiche an, angelten in schnellerer Strömung, im Oberflächenwasser über Kraut, fischten vertikal auch in größeren Tiefen oder jiggten den Grund ab. Besonders in der Mitte unserer Tour fanden wir Spots mit besonders erstaunlichen Durchschnittsgrößen, wobei wir täglich einige kräftig gebaute Großhechte um 1,20m überlisten konnten. Claudia beendete diese Monsterhechtserie mit einer besonders fetten Dame von 1,24m, welche der größte Fisch unseres Trips werden sollte. In den folgenden Tagen erlebten wir weitere denkwürdige Momente und fingen am letzten Tag unglaubliche 32 Meterhechte!

Besonders interessant waren auch die zwei unterschiedlichen Hecht-Farbmutationen, die äußerst selten auftauchten und welche noch nicht ausreichend erforscht waren. So konnten wir mehrere Silberhechte bis 1,20m fangen, welche durch ihre silber-bläuliche Färbung ohne markante Muster zu erkennen waren. Die italienischen Hechte (Esox Lucius flaviae) hingegen waren besonders kontrastreich gefärbt und gefleckt – unser größtes Exemplar von 1,12m war eine wahre Schönheit.

Neben den Hechten gab es noch weitere sehr spannende Fischarten. An einigen Spots konnten wir mehrere Walleyes fangen, sobald der Köder nah am Grund lief. Unser besonderes Interesse galt jedoch den sehr seltenen Inconnus. Diese Salmoniedenart kann bis zu 1,5m und 25kg schwer werden und erinnert in seinem Aussehen, ganz besonders auch durch sein Maul, eher an einen Tarpon als an eine Forelle. Und so kämpften sie auch in der harten Strömung – wild um sich schlagend und kaum auszudrillen. Es war gar nicht so einfach, sie für ein kurzes Foto zu besänftigen. Die meiste Zeit leben Inconnus im Meer und ziehen mehrere tausend Kilometer, wie die Lachse, die Flüsse zum Laichen hinauf. Wir waren sehr froh, dass wir einen solchen Fluss zur richtigen Zeit erwischten und konnten viele dieser wilden Kämpfer bis 97cm auf unsere Kunstköder überlisten!

In unseren Gewässern gab es keine Lachse. Das machte das Überleben für die Schwarz- und Grizzlybären härter, und sie mussten kreativer in der Nahrungsbeschaffung sein. Genau das ging Claudia durch den Kopf, als sie abends auf dem Weg zur Buschtoilette allein im Wald, zum Schutz nur das Bärenspray dabei, einem Schwarzbären gegenüber stand. Am Anfang der Tour hatten wir den Umgang mit der Shotgun und dem Gewehr gelernt, denn hier war jeder für den anderen verantwortlich. Doch die Waffen lagen nun im Zelt. Zum Glück interessierte sich der Bär mehr für die vielen Beeren, und Jeff konnte ihn mit zwei Warnschüssen mit der Shotgun vertreiben. Uns wird ganz gewiss in Erinnerung bleiben, wie sich der Bär nochmal hinter einem Felsen und Büschen auf zwei Beine stellte und in unser Zelt-Camp herab blicke. Das war unser einziger Zwischenfall, der zum Glück für Mensch und Tier gut ausgegangen ist. Wir waren immer bemüht, solchen Begegnungen entgegen zu wirken, wuschen alle Dosen aus, verpackten alle Lebensmittel und allen Abfall luftdicht und zelteten an Spots, die nicht auf natürlichen Wanderrouten von Bären lagen. Dennoch hielten wir nachts oft Ausschau, denn die Bären hatten auch die dumme Vorliebe, Benzinschläuche von Booten aufzufressen!

Während Jeff mit schweren Muskieruten und Großködern wie dem Real Eel fischte, gaben Claudia und ich fast ausschließlich unseren Trophy Shads von 15cm den Vorzug. Diese relativ kleinen Hechtköder brachten absolut nicht weniger Großhechte ans Band und erlaubten es uns, mit den leichten Antares-Spinnruten mit Wurfgewicht bis 50g zu fischen. Unglaublich, wie man diese Rütchen quälen konnte! Wegen all der Felsen und der brachialen Abnutzung fischten wir jedoch mit Hauptschnüren von mindestens 0,28mm, Titan von 40kg, Stahlgeflecht von 24kg und Fluocarbon ab 0,90mm. Darüber hinaus bestückten wir alle Gummifische mit nur einem Owner-Drilling Größe 1 ohne Wiederhaken auf dem Rücken. So konnten wir die Verletzungen der Hechte auf ein Minimum reduzieren, und selbst bei kleinen Hechten gab es mit dieser Montage so gut wie keine Fehlbisse. Wir behandelten alle „Fotohechte“ nach der gleichen Prozedur: Im Wasser abhaken, in der Hecht-Cradle im Wasser zwischenparken, in Ruhe Fotokamera bereit machen, Hecht aus der Cradle holen, auf die Maßschablone legen, Fotos schießen und releasen. So waren alle Hechte nicht länger als 20 Sekunden aus dem Wasser!

Eine bessere Test-Tour konnte es für unsere Trophy Shads ganz sicher nicht geben. So fischen wir parallel alle Farbdekore und dabei ließ sich unsere Farbtheorie sehr eindrucksvoll bestätigen: Bei ganz flach stehender Sonne und bei Waldbrand war der Mr. Pink sehr fängig, danach deckte der Dark Water Sun ein weites Dämmerungs-Spektrum ab. Am Tag fischte Claudia am liebsten den White Machine und ich den Wild Honey, bei sehr sonnigem Wetter kamen der Glamour Herring und unsere Special-Dekore Sexy Shad und Lady M erfolgreich zum Einsatz. Um den internationalen Austausch zu vervollständigen, überließen wir Jeff die Deutschland-Flaggen-Gummis, der damit auch den einen oder anderen Großhecht fing.

Nach zwölf Tagen in der Wildnis fiel uns der Abschied schwer. Wir hatten Dinge erlebt, die wir erst mit etwas Abstand so richtig begreifen konnten. Für mich war diese Expedition nach zwanzig Jahren Hechtangeln die absolute Krönung, für Jeff die bisher längste Meterhecht- und Campingorgie am Stück und für Claudia ein sehr denkwürdiger Einstieg in die gezielte Großhechtangelei. So konnten wir unsere Tour mit insgesamt 176 Meterhechten beenden und übertrafen damit bei weitem all unsere kühnsten Träume!

 

Statistik

Angler: Claudia, Jeff, Martin

Fische gesamt: 483

Hechte: 388

Hechte über 1m: 176

Inconnus: 64 (bis 0.97m)

Walleyes: 31 (um 0.5m)

Hechtstatistik nach Tagen (Länge in m):

1.Tag:9

1.22 1.11 1.08 1.05 – …

2.Tag:22

1.13 1.12 1.12 1.11 – 1.10 1.06 1.05 1.01 1.00 – …

3.Tag:41

1.16 1.11 1.08 1.08 1.05 1.05 – …

4.Tag:22

1.13 1.05 1.03 1.01 – …

5.Tag:27

1.24 1.19 1.19 1.16 1.17 1.13 1.13 1.13 1.12 1.11 1.10 1.08 1.07 1.07 1.05 1.05 1.04 1.01 1.01 1.00 – …

6.Tag:27

1.21 1.20 1.19 1.19 1.18 1.18 1.16 1.15  1.11 1.07 1.07 1.06 1.06 1.06 1.03 1.01 1.01 1.00 – …

7.Tag:12

1.22 1.17 1.17 1.14 1.08 1.07 1.04 1.03 – …

8.Tag:19

1.20 1.18 1.11 1.10 1.10 1.10 1.09 1.08 1.06 1.04 1.04 1.02 1.02 – …

9.Tag:34

1.24 1.20 1.09 1.07 1.06 1.06 1.06 1.02 1.02 1.01 1.01 1.00 – …

10.Tag:69

1.18 1.14 1.12 1.12 1.11 1.10 1.10 1.10 1.09 1.08 1.07 1.07 1.06 1.06 1.05 1.04 1.04 1.04 1.04 1.02 1.02 1.02 1.01 1.01 1.01 1.01 – 1.00 1.00 1.00 1.00 – …

11.Tag:40

1.15 1.15 1.14 1.14 1.13 1.13 1.12 1.12 1.11 1.09 1.08 1.07 – 1.06 1.04 1.03 1.03 1.03 1.02 1.00 1.00 – …

12.Tag:66

1.12 1.11 1.10 1.10 1.09 1.09 1.08 1.08 1.07 1.07 1.06 1.05 1.05 1.05 1.04 1.04 1.04 1.03 1.03 1.03 1.03 1.03 1.02 1.02 1.02 1.02 1.02 1.01 1.01 1.00 1.00 1.00 – …